Ihre körperliche Präsenz — gleich ob in Bewegung oder stillstehend — kreiert eine unangenehme Atmosphäre permanenter Kontrolle und Überwachung durch eine unbekannte Machtinstanz. Ständig im Fadenkreuz, ständig das Ziel: Der Trupp zielt auf das eigene Spiegelbild und ist so Täter und Opfer zugleich. Vor der Spiegelarbeit Mutation Of The Objective ist das Anvisieren des eigenen Spiegelbildes plötzlich Selbstbeobachtung und -ermächtigung. Das Prinzip der Gleichschaltung von Täter und Opfer entspricht dem geschlossenen System des Closed-Circuits-Konzepts, das von medialen Arbeiten bekannt ist. Auf dieses greift Berger in einem anderen Raum zurück. Er performt vor laufender Kamera. Die aufgenommene Aktion wird parallel an anderer Stelle übertragen. Die Situation ähnelt der Funktion einer Überwachungskamera und drängt den Betrachter in eine doppelte Rolle; heimlicher Voyeur einerseits und überlegener Akteur andererseits. Die Performance Genius Media folgt einer eigenen Logik, die von ergebnisorientierter Sinnhaftigkeit befreit scheint.

„Stellvertretend für die Gesellschaft Bilder vom Leben zu entwerfen […]“ so beschreibt Harald Uhr das Anliegen und die Tätigkeit von Ralf Berger (Harald Uhr: Ich habe nur das Eine im Kopf, in: Ralf Berger, hrsg. v. Bonner Kunstverein, Bonn 1997, o. S.). Wenngleich das Zitat sich auf Bergers Arbeiten von vor über zwei Jahrzehnten bezieht, hat die Formulierung weiterhin aktuelle Gültigkeit für seine künstlerische Auseinandersetzung. Passend zum Untertitel des Bauhaus-Projekts Anders Wohnen. Entwürfe für Haus Lange und Esters konzipiert Ralf Berger in seiner installativen Performance Genius Media eine dystopische Perspektive auf ein künftiges Leben in einer medienautoritären und technokratischen Gesellschaft. Im ehemaligen Kinderzimmer der nahezu leeren Räume von Haus Esters begegnet der Besucher einer fünfköpfigen Truppe; vor einem Spiegel positioniert und durch die früheren Wohnräume patrouillierend.

Utopie und Dystopie sind für Ralf Berger gedankliche Verortungen. Den Häusern Lange und Esters liegt in gewisser Weise die utopische Vorstellung einer rationalen und vernunftbetonten Gesellschaft zugrunde. Jeder Ort ist entsprechend auch Medium von Gesellschaftsentwürfen, auch Haus Lange und Haus Esters. Berger setzt bei diesem Geist — dem Genius Loci — des Hauses Esters an und will in einem dystopischen Gegenentwurf einen Geist der Medien beschwören, den Genius Media. Der Begriff des Genius entstammt dem römischen Glauben, der die innewohnende Kraft jedes Mannes repräsentiert und wie ein inneres Wirkungsprinzip zu verstehen ist. Berger orientiert sich an technikpessimistischen Prophezeihungen, wie der ‚Megamaschine‘ des Soziologen Lewis Mumford, in der der Mensch der Technik unterworfen ist und sich autoritären Zwangsmechanismen fügen muss. Medien begreift Berger als Werkzeuge für die Errichtung der Megamaschine und prognostiziert in seinem dystopischen Versuch den Endgegner der Menschheit.

Ralf Berger (1961* in Düsseldorf, DE) siedelt sich mit seinen multimedialen Arbeiten an der Schnittstelle zur Performance-, Installations- und Medienkunst an. Der Künstler arbeitet an der Auslotung der Grenzen des künstlerischen Materials und Mediums. Hierbei steht der eigene Körper im Zusammenwirken mit seiner Umgebung im Fokus seiner künstlerischen Arbeit. Nach seinem Studium bei Klaus Rinke an der Düsseldorfer Kunstakademie erhielt Berger zahlreiche Stipendien und wurde deutschlandweit in Einzelausstellungen und auf internationalen Gruppenschauen gezeigt. 1999 kuratierte Julian Heynen die Soloschau Ralf Berger. Arbeiten 1993-98 im Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld.

Julia Reich