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Welche Möglichkeiten zum freien, selbstbestimmten Handeln existieren in einer Situation politisch-gesellschaftlicher Bedrohung? Obwohl unserer europäischen Lebensrealität vermeintlich fern, holt Michal Helfman solche Fragen in den geschützten Raum des ehemaligen Wohnhauses der Familie Esters. Ihre Videoinstallation setzt bei den Lebensumständen von Menschen an, deren momentane Situation ihnen Freiheit und Selbstbestimmung verwehrt. Um unter solchen Bedingungen Kreativität zu ermöglichen, nutzt Helfman in einem provokanten Akt der Aneignung das Modell der sogenannten terroristischen Schläferzellen. Sie überträgt die Autorschaft für ihre Videoarbeit per Vertrag an die Mitglieder von „Edition of X“ (EOX), einen temporären Zusammenschluss von Künstler*
innen, die im Exil leben, weil sie in ihrer Heimat von Krieg und Verfolgung bedroht sind. Statt terroristischer Aktionen führen die „EOX“ Anweisungen für künstlerische Handlungen aus, die ihnen von einem ihrer im Heimatland verbliebenen Mitglieder (in diesem Fall A/P3) durch eine sichere Internetverbindung übermittelt wurden: Kunst als subversive Waffe gegen Unterdrückung. Die EOX sind anfangs durch Masken unkenntlich gemacht, die gleichzeitig Anonymität gewährleisten und Aggressivität vermitteln. Sie beginnen ihre Performance, indem sie sich einen Weg durch den Bühnenboden bahnen. Ihre Aktionen gleichen einem Tanz, der sich mit den
Voice-over-Kommentaren zu einem Raum und Zeit strukturierenden Rhythmus verbindet.
Die Requisiten und Motive, mit denen die EOX agieren — das Gefäß, die Bronzeskulptur, die goldene und silberne Rettungsdecke, die Teilung der Volumina in weiß und schwarz — bilden ein Geflecht aus symbolischen Anspielungen auf archaische Bilder und Rituale, auf Krisensituationen, Licht und Schatten, Vergangenheit und Gegenwart. Leitmotiv der Aktion ist die Wiederholung. Sie äußert sich in den Ritualen der Performer*
innen ebenso wie in den Begleitkommentaren, mit denen das Bild einer menschengemachten Katastrophe gezeichnet wird, die beginnt, kaum dass eine andere endet; das Bild einer Frau mit einer Vase, gemalt auf der Vase, gemalt auf der Vase...; die endlose Spiegelung des Immergleichen, die erst durchbrochen wird, indem am Schluss des Films dem Einzelnen seine Handlungsmacht erneut zugesprochen wird.
Wie häufig in Helfmans Performances und Installationen verwischen sich potentiell reale Szenarien mit Fiktion und poetischer Narration. Auch wenn die „EOX“ fiktiv und ihre Mitglieder Performer*
innen sind, so könnte dieser Verbund von Heimatlosen durchaus realen Lebenssituationen entsprechen. Die Vermischung der Realitätsebenen setzt sich in der Installation selbst fort. Die Besucher*
innen befinden sich, während sie die gefilmte Performance anschauen, inmitten der verwendeten Requisiten, die hier ein Interieur, einen Raum im Raum bilden. Die Betrachter*
innen werden damit quasi selbst Teil des Geschehens, Akteure auf einer die gesellschaftliche Realität repräsentierenden Bühne. Modellhaft stellt die Arbeit die Frage, wie jeder einzelne angesichts eines globalen Zustands von Unsicherheit und Verwundbarkeit nach Selbstbestimmung und alternativen Handlungsmöglichkeiten suchen kann.
Michal Helfman (*
1973, lebt und arbeitet in Tel Aviv) verbindet in ihren vielschichtigen Arbeiten Skulptur, Performance, Zeichnung, Video und Architektur. Häufig nutzt sie Strategien des Theaters, um konkrete Realitätsbezüge und symbolisch-fiktive Bilder zusammenzubringen. Sie hatte zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit, darunter die 50. Venedig Biennale, das CCA Tel Aviv, das San Francisco Institute of Visual Art und die Fondazione Sandretto in Turin.
Magdalena Holzhey